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Der Podcast für Familiengeschichte im Nationalsozialismus

#26 - Displaced Persons

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Links und Hintergründe # 26 - Displaced Persons

Unsere Gäste heute: Florian Urbański, der uns heute von der Suche nach seinen Großeltern erzählt, die im Deutschen Reich Zwangsarbeit leisten mussten und in der Nachkriegszeit zu Displaced Persons, sogenannten "heimatlosen Ausländern", wurden.

Die Historikerin Sarah Grandke von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, forscht zu Displaced Persons mit Schwerpunkt Polen und Ukraine.

Unfreiwilliger Neubeginn

Nach ihrer Befreiung lebten die nach Deutschland deportierten Zwangsarbeiter*innen oft als "Displaced Persons" in Lagern und warteten auf ihre Repatriierung in ihre Heimatstaaten oder die Emigration ins westliche Ausland. Auf der Webseite des Arbeitskreises "Zukunft braucht Erinnerung" gibt es einen guten Überblick mit weiterführender Literatur.

Zwangsarbeit

Florians Großmutter lebte ihm polnischen Łódź, als sie von den Nazis zu Zwangsarbeit verschleppt wurde. Sie arbeitete bis zum Kriegsende in unterschiedlichen Fabriken in Süddeutschland.

Florians Großvater wurde aus der Kriegsgefangenschaft heraus in zivile Zwangsarbeit gezwungen. Offiziell war der Status von Kriegsgefangenen nämlich völkerrechtlich geregelt – und zwar in der Haager Landkriegsordnung von 1907 und der Genfer Konvention von 1929. Danach mussten sie angemessen versorgt und nicht für sogenannte „unzuträgliche und gefährliche Arbeiten“ eingesetzt werden. Die Nazis aber argumentierten, dass der polnische Staat untergegangen, also kein Völkerrechtssubjekt mehr darstelle, und folglich wären die Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen auf sie nicht anzuwenden. Die polnischen Kriegsgefangenen verloren dadurch den zumindest völkerrechtlich geregelten Schutzbereich dieser Konvention, der vom Internationalen Roten Kreuz kontrolliert wurde, und waren aus NS-Sicht nur noch Zivilisten. 200.000 wurden anschließend als Zwangsarbeiter eingesetzt, die nach den rassistischen Polen-Erlassen diskriminiert wurden.

Mehr zum System Zwangsarbeit und zu den sogenannten Polen-Erlassen könnt Ihr übrigens nochmal in #25- Zwangsarbeit nachhören, da gibt Christine Glauning, Leiterin des Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin einen guten Überblick - auch über den langen Weg hin bis zur Entschädigung.

Grundlagen

Der Begriff Displaced Person (DP) wurde im Zweiten Weltkrieg von den Alliierten geprägt. Als „DPs“ wurden in dieser Zeit Zivilpersonen bezeichnet, die sich kriegsbedingt außerhalb ihres Heimatstaates aufhielten und ohne Hilfe nicht zurückkehren konnten. Unmittelbar nach der Gründung der United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) wurde im November 1943 beschlossen, dass diese internationale Hilfsorganisation sich um Unterbringung, Versorgung und Rückführung in deren Heimat kümmern sollte, sobald die militärische Lage das zulassen würde.

In DP-Lagern sollten Displaced Persons (DPs) nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vorübergehend in Deutschland, Österreich, Frankreich und Italien untergebracht werden. Hier hibt es einen guten Überblick über die einzelnen Lager.

Mehr zum Thema jüdische Displaced Persons findet Ihr hier.

Die Schriftstellerin Natascha Wodin wurde Ende 1945 als Kind ukrainischer DPs in Fürth geboren, weil auch ihre Eltern aus Furch vor stalinistischer Verfolgung in Deutschland geblieben waren. In "Sie kam aus Mariupol" berichtet sie von ihrer Spurensuche nach der Herkunft ihrer früh verstorbenen Mutter, in "Irgendwo in diesem Dunkel" von der noch ihrem Vater.

Wer nochmal intensiver einsteigen will ins Thema DPs: Der Journalist Patrick Figaj erzählt in seinem Podcast "Tadschu" die Geschichte seines Großvaters, der eine ähnliche Geschichte hat wie Florians Großvater.

1951 wurde das "Gesetz über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer" in der Bundesrepublik verabschiedet. Nachdem fallen unter den Begriff "heimatlose Ausländer" fremde Staatsangehörige oder Staatenlose, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg als Flüchtlinge und Verschleppte des NS-Regimes in der BRD und West-Berlin aufhielten. Zu Begriff und Kritik - hier lang.

Recherche

Eine gute Anlaufstelle bei der Suche sind die Arolsen Archives und auch das UN-Archiv in New York.

Sarah rät, sich immer auch an die Stadtarchive zu wenden, wo die Großeltern in DP-Lagern gelebt hatten. Meist wäre da nicht viel zu finden, weil die Materialien oft im Ausland sind, manchmal könnt Ihr trotzdem großes Glück haben.

In Polen:

Die Archive in Polen sind deutlich zentraler organisiert, gleichzeitig ist nicht immer sofort ersichtlich, wo welche Unterlagen liegen. Jede Wojwodschaft hat ein Staatsarchiv und auch jede Diözese hat ein Zentralarchiv. So gehen zum Beispiel nach 100 Jahren alle Kirchenbücher zentral an das Archiv der Diözese, regionale Unterlagen nach 100 Jahren an die Staatsarchive der Wojwodschaften. Außerdem gibt es noch diverse Spezial-Archive. Einen guten Überblick bietet das Deutsche Historische Institut (DHI) in Warschau und die Seite mittelpolen.de.

Was es in Polen nicht gibt, sind Stadt- und Regionalarchive. Man muss deshalb geduldig Schritt für Schritt recherchieren, wo welche Unterlagen liegen könnten, rät Florian. Auch die jeweils lokalen Standesämter sind immer noch eine Anfrage wert, wenn es um Geburts-, Heirats- oder Sterbeurkunden geht, die nicht älter sind als 100 Jahre.

Noch ein Tipp von Florian zu polnischen Archiven: Er hat die Erfahrung gemacht, dass die deutlich bürokratischer sind als die deutschen. Es ist zum Beispiel ganz wichtig, dass man nachweisen kann, dass man mit der gesuchten Person direkt verwandt ist. Florian rät daher, dass man sich beim Standesamt sämtliche Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden, Familienbücher, kopieren lässt, die dann in der Summe das Verwandtschaftsverhältnis zwischen einem selbst und dem Gesuchten belegen. Und das dann in Polen einem beglaubigten Übersetzer vorlegt. Und das dann eben mit der Kopie des Originaldokumentes im entsprechenden Archiv einzureichen.

Auch das Institut für Nationales Gedenken, IPN, eine gute Anlaufstelle, wenn man nach polnischen Opfern von Krieg und Kommunismus sucht.

Das Zentrale Museum für Kriegsgefangene (Centralne Muzeum Jeńców Wojennych) in Oppeln/Opole, ist Museum und Archiv zugleich. Der Hintergrund ist, dass nach 1945 die gesamten deutschen Unterlagen über Kriegsgefangene an die jeweiligen Kriegsteilnehmer übergeben wurden, in dem Fall an die Volksrepublik Polen.

Noch ein Tipp, wenn es um Kriegsgefangenschaft geht: Eine Anfrage beim Archiv der Internationalen Zentralstelle für Kriegsgefangene des Roten Kreuzes in Genf.

Netz-Foren gibt es einige, zum Beispiel dpcamps.org, in dem eine Nachkommin seit vielen Jahren die unterschiedlichsten Infos zu den verschiedenen Lagern sammelt. Hier erhaltet Ihr einen guten Überblick über einzelne Camps und könnt Euch vernetzen.

Florian empfiehlt das forum.ahnenforschung.net, weil es sehr breit aufgestellt ist und unter anderem eine eigene Kategorie zu Polen hat. Hier sind viele unterwegs, die schon länger suchen und auch Polnisch sprechen - und auch mal Vorlagen abgeben, bei Übersetzungen helfen.

Die Seite Mittelpolen.de hat zwar kein Forum mehr, aber stellt auf der Internetseite noch Tipps zur Verfügung. Ansonsten gibt es noch zahlreiche Internetseiten und Foren die sich teilweise speziell mit einzelnen polnischen Regionen befassen, da kann man aber auch bei Forum Ahnenforschung nachfragen.

Für unsere Webseite hat Florian seine Suche nochmals aufgeschrieben. Hier findet Ihr auch die Geschichte anderer Enkelinnen und Enkel.


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Über diesen Podcast

Seit 75 Jahren ist der Nationalsozialismus Geschichte - und doch wirkt er bis heute weiter - im eigenen Leben, in den Familien. Der Podcast "gestern ist jetzt" erzählt von der Suche nach Antworten darauf, wie sich unsere eigenen Großväter im Nationalsozialismus verhalten haben. Und soll auch Dich bei Deiner Suche weiterbringen - dank der Unterstützung vieler Historiker, Sozialwissenschaftlerinnen, Psychologinnen und Archivare - aber und anderer recherchierender Enkel*innen, die schon viel weiter sind als wir. Wir, das sind Melanie Longerich und Brigitte Baetz - zwei Journalistinnen aus Köln.

von und mit Melanie Longerich, Brigitte Baetz

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